Buchgedanken | Starters - Lissa Price

Februar 03, 2022

Gerade mal ein Jahr ist es her, dass die Sporenkriege ihr Ende fanden und der Großteil der us-amerikanischen Bevölkerung von einem Virus dahingerafft wurde. Überlebt hat nur, wer an eine Dosis des begehrten Impfstoffs gelangte. Seitdem ist die Gesellschaft gespalten - in die sehr jungen, noch minderjährigen Starter und die hochbetagten Ender. Während die Kinder mittellos und ohne Eltern auf der Straße sitzen, verteilen die Alten den Reichtum unter sich. In dieser neuen Gesellschaft müssen sich die 16-jährige Callie und ihr kleiner Bruder Tyler zurechtfinden. Als sich dessen Gesundheit zusehends verschlechtert, sieht Callie nur noch einen Ausweg aus der Armut: Sie schließt einen Vertrag mit Prime Destinations ab, einem Unternehmen, das junge Starter-Körper mit neuester Technologie an reiche Ender vermietet. Doch bereits bei Callies zweiter Session läuft etwas schief: Sie ist bei Bewusstsein und ihr wird klar, dass ihr Körper benutzt wird, um einen furchtbaren Plan in die Tat umzusetzen. 

BUCHGEDANKEN

Ich habe die Dilogie von Lissa Price bereits vor einigen Jahren gelesen. Als ich sie dann vor kurzem beim Stöbern auf meiner liebsten Hörbuch-App entdeckte, hatte ich spontan Lust auf einen ReRead - auch um zu schauen, ob sich meine Sicht auf die Bücher mit den Jahren verändert hat. Wenig überraschend nicht: Starters ist für mich weiterhin ein solider Thriller in einem postapokalyptisch-dystopischen Setting, dem es besonders beim Worldbuilding und bei der Charakterentwicklung an Tiefe mangelt. Und, nun ja, Enders war katastrophaler als ich es in Erinnerung hatte. 

Eine gute Dystopie steht und fällt mit dem Worldbuilding, mit einer plausiblen Erklärung, warum unsere aktuelle Gesellschaft gescheitert ist und wie sich die neue Gesellschaft herausgebildet hat. Und gerade da klafft bereits in Starters eine riesengroße Lücke. Zwar werden die Sporenkriege erwähnt und das Virus, das allen Middles das Leben gekostet haben soll, aber weiter in die Tiefe geht Price leider nicht. Mir stellten sich so viele Fragen, die bis zum Schluss nicht beantwortet wurden.

Was hat die Sporenkriege ausgelöst? Warum setzte man auf biologische Kriegsführung? Was hat letztendlich zum Ende des Krieges geführt? Wie lange hat es gedauert, bis es einen Impfstoff gegen das Virus gab? Wie kann es sein, dass die USA trotz Kriegen und verheerender Verluste in der Bevölkerung bereits nach einem Jahr wieder reibungslos zu funktionieren scheint? Warum haben der Krieg und das Virus keinerlei emotionale Folgen für die Ender - auch sie haben doch Familienmitglieder verloren? Welches Interesse hat die Regierung, die Waisenkinder in Heime zu sperren und dort zu drangsalieren statt sie vernünftig auszubilden? Wozu dieser enorme finanzielle Aufwand? The list goes on ...

Eigentlich ist der Konflikt der Welt von Starters recht spannend: Die Alten, die die heutige Welt aufgebaut haben, das Geld und die Macht in den Händen halten, stehen den Jungen gegenüber, die in dieser Welt navigieren müssen, ausloten müssen, ob sie sich anpassen oder rebellieren, um ihre eigenen Visionen für die Gesellschaft der Zukunft zu entwickeln. Mit den Folgen des Krieges und der Epidemie, dem großen Ungleichgewicht zwischen altem und jungem Teil der Bevölkerung, das daraus hervorging, beschäftigt sich diese Dilogie leider nur am Rande.

Stattdessen steht ein ganz anderer Konflikt im Mittelpunkt: Zwar ist die Medizin so weit fortgeschritten, dass Menschen bis zu 200 Jahre alt werden können, aber die Ender jagen dennoch der Jugend und Schönheit hinterher. Und hier kommt Prime Destinations a.k.a. die Body Bank ins Spiel, die scheinbar eine Win-Win-Situation anbietet: Die Ender erhalten die Möglichkeit, eine zweite Jugend zu erleben und die armen Starter-Kids bekommen eine großzügige Entschädigung für die Unannehmlichkeiten der Kontrollübernahme. Nur ist der temporäre "Besitz" des jugendlichen Körpers manchen Endern nicht genug und genau in diese Machenschaften stolpert Callie Woodland, unsere Protagonistin.

Callie war mir zu Beginn noch sehr sympathisch. Die Angst und Verzweiflung seine Familie in einer Virus-Epidemie zu verlieren, können wir wohl alle mittlerweile sehr gut nachvollziehen. Ihre Trauer und Sehnsucht nach ihren Eltern ging mir daher sehr nahe. Price hat das Leben der Kinder auf der Straße schonungslos beschrieben. Man spürt die Last und Verantwortung, die Callie tagtäglich schultert -  die Sorge um die Gesundheit ihres Bruders, genügend Essen und sauberes Wasser, einen sicheren Schlafplatz. Callies Motivation am Anfang war stark und man möchte ihr gerne glauben, dass sich mit ein paar Sessions bei der Body Bank all diese Sorgen in Luft auflösen. Ein bisschen erinnert sie mich an Katniss: Eigentlich ein durchschnittliches Mädchen, dass sich nur um das Wohlergehen ihrer Familie sorgt und ein gutes Gespür für Gerechtigkeit besitzt. Nur, Katniss ist nicht so naiv und durchschaut das Kapitol. 

Auch wenn sie bereits seit einem Jahr auf der Straße lebt, ist Callie immer noch ein 16-jähriges Mädchen und ihre Gutgläubigkeit lässt viel Raum für Entwicklung, aber leider geht Callie auch noch am Ende des ersten Bands blauäugig durch ihre Welt. Sie macht einfach keine Entwicklung durch und wird von Nebenfiguren, die eigentlich den Plot bestimmen, über das Schachbrett geschoben. Dabei bleiben leider auch die Emotionen auf der Strecke. Callie lässt sich so sehr von dem Leben ihrer Mieterin einnehmen, dass sie sich kaum mehr einen Gedanken um ihren Bruder macht. Dafür entwickelt sie Instant-Zuneigung für Personen, die sie nur einige Male flüchtig getroffen hat. Auch Blake zähle ich hier dazu: Club-Bekanntschaft, Sohn des Senators, Love-Interest. Die beiden waren eigentlich ganz süß zusammen, aber wie für das Genre üblich, entwickelt sich auch hier alles viel zu schnell.

Dennoch gelingt es Price im Mittelteil einen guten Spannungsbogen aufzubauen und einen soliden Thriller über die Machenschaften eines zwielichtigen Unternehmens zu erzählen. Es ist sehr schade, dass das Worldbuilding durch die Hintergrundgeschichte eigentlich noch ganz andere Konflikte eröffnet, die - zumindest im ersten Band - überhaupt nicht weiterentwickelt werden. Zumal es die Sporenkriege und die Epidemie nicht wirklich gebraucht hätte, um diese Geschichte zu erzählen. In ihr liegen ganz andere spannende Fragen verborgen, die hoffentlich im zweiten Band augegriffen werden. 

FAZIT: SNACK-LEKTÜRE



Literaturverweis:
Lissa Price (2012): Starters. München: Piper.

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