Buchgedanken | Das Lied der Krähen - Leigh Bardugo

Oktober 26, 2019


In der pulsierenden Handelsmetropole hat sich der Waisenjunge Kaz Brekker zur skrupellosen rechten Hand eines Bandenchefs hochgearbeitet. In den Gassen, Tavernen und Spielhöllen ist er als Dirtyhands bekannt und gefürchtet. Sein Ruf eilt ihm auch voraus, als der Kaufmannsrat von Ketterdam mit einem verlockenden Angebot auf Kaz zutritt. Ein Angebot, dessen lukrativer Belohnung er nicht widerstehen kann, denn sie würde ihm das notwendige Kapital liefern, den Tod seines Bruders zu rächen. Doch Kaz kann den Aufrag unmöglich allein erledigen. Und so fordert er Gefallen und Loyalitäten ein, um eine Mannschaft zusammenzustellen, die skuriler nicht sein könnte. Gemeinsam machen sie sich auf in den Norden, nach Fjerda, um einen gefährlichen Magier aus dem bestgesicherten Gefängnis der Welt zu befreien - jedoch steckt mehr hinter dem Auftrag, als die Krähen ahnen.

Hinweis: Das Lied der Krähen spielt einige Zeit nach der Grischa-Trilogie im selben Universum. Ich hatte bereits den ersten Band Goldene Flammen gelesen und war mit den magischen Fähigkeiten und Orden der Grischa vertraut. Wer bisher noch nicht mit dem GrischaVerse in Berührung gekommen ist, könnte einen Moment brauchen, um sich in der Welt zurechtzufinden. Und wer die Grischa-Trilogie noch lesen möchte, sei gewarnt: Das Lied der Krähen spoilert ihr Ende!

BUCHGEDANKEN

Eigentlich würde ein Wort reichen, um dieses Fantasy-Abenteuer zu beschreiben: Großartig! Aber ich versuche mal, meine Begeisterung in ein paar mehr Worte zu fassen: Bereits auf den ersten Seiten wird man Zeug:in eines mysteriösen Ereignisses, wird direkt in die Handlung geworfen. Es gibt keine lange Einleitung, die einem zunächst die Welt erklärt, sondern man entdeckt sie nach und nach, während man den Figuren durch Ketterdam folgt. Dialoge, Handlung und Beschreibung wechseln in einem angenehmen Rhythmus, so dass die Seiten nur so vorbeiflogen. Gerade bei Fantasy-Romanen genieße ich es, wenn ich die Welt beim Lesen Stück für Stück erkunden kann, anstatt am Anfang einen Batzen Infos vorgesetzt zu bekommen. Die Action lässt auch nicht lange auf sich warten, immer wieder bringen die Wendungen neue Dynamik in das Geschehen. Einige konnte ich vorhersehen, aber ich wurde auch oft genug überrascht. 

Insgesamt erlebt man die Geschichte aus fünf Perspektiven. (Fast) Jede:r erhält die Gelegenheit, die Geschehnisse aus ihrer:seiner Perspektive zu schildern bzw. sie zu reflektieren. Die Sechs sind herrlich unterschiedliche, alle haben ihre jeweils eigenen Stärken und Schwächen, die die Figuren authentisch wirken lassen. Kaz ist das strategische Mastermind, hat jedoch Schwierigkeiten sich emotional zu öffnen. Inej, das Phantom, die herausragende Spionin und Mörderin mit dem großen und sanften Herzen. Nina ist selbstsicher und schlagfertig, sie hadert aber auch mit ihrer Vergangenheit und den Entscheidungen, die sie getroffen hat. Ihre Entherzer-Fähigkeiten zu erforschen fand ich richtig spannend. Jesper, unzertrennlich verbunden mit seinen Pistolen und scheinbar immer in Bewegung. Zusammen mit Nina lockert er die Gruppe auf und lockt sie aus der oft todernsten Stimmungen. 

Und dann sind da noch Matthias und Wylan, mit denen ich nicht so eine tiefe Verbindung aufbauen konnte wie mit den Anderen. Matthias hegt ein stetigen Groll, er ist oftmals schroff und aufbrausend, und seine verbohrten abergläubischen Ansichten gingen mir manchmal echt auf die Nerven. Wylan ist der einzige der Sechs, der keine eigenen Kapitel bekommen hat und so erlebt man ihn immer aus der Sicht der anderen Figuren. Und unter ihnen wirkt Wylan sehr jung und naiv. Nichtsdestrototz habe ich sie alle in mein Herz geschlossen, auch weil immer wieder die Vorgeschichte der Figuren zur Sprache kommt und man viel über ihre Motive und die Konflikte der Welt erfährt. Ich muss dabei an eine Zwiebel denken, bei der man Schicht für Schicht tiefer in die Welt der Krähen vordringt. 

Die Rückblenden, in denen die Erinnerungen der Figuren verpackt sind, durchbrechen immer mal wieder die Haupthandlung und an einigen Stellen auch die Spannung. Meinem Lesevergnügen hat es nicht geschadet, weil die Rückblenden auf ihre Art spannend waren und den Figuren viel mehr Tiefe gegeben haben. Ich habe jeden Einzelnen schätzen und lieben gelernt, und umso mehr mit ihnen mitgefiebert. Während der Handlung werden die Sechs immer wieder mit schwierigen Entscheidungen  und Herausforderungen konfrontiert. Kaz ist dabei immer für eine Überraschung und einen verrückten Plan gut, was mich so oft an Tommy Shelby aus Peaky Blinders denken ließ. Positiv herausheben möchte ich an dieser Stelle auch, dass sich die Liebesgeschichten bisher nur langsam anbahnen. Die zurückhaltenden Annäherungen und die kleinen, liebevollen Gesten haben mein Herz aufgehen lassen. 

Die Welt des GrischaVerse ist mit so viel Liebe und Details ausgestattet. Eine meiner größten Freuden an Fantasy-Romanen ist die Möglichkeit, in fremde und faszinierende Welten abzutauchen, die sich trotz der Fiktion lebendig und authentisch anfühlen - und das hat Leigh Bardugo hier definitiv geschafft. Die unterschiedlichen Länder mit ihren jeweiligen individuellen Kulturen, Sprachen, Festen und Bräuchen. Ich wollte die Welt und die Gesellschaft der Krähen nie wieder verlassen. Der Schreibstil der Autorin macht das natürlich erst möglich. Sie beschreibt die Schauplätze und Personen so wahnsinnig anschaulich, mit einer gewissen Schwere und Poetik, ohne dabei zu langatmig zu werden. Das GrischaVerse ist düster, schonungslos und teilweise brutal, und auch die Figuren schrecken vor unmoralischen Handlungen nicht zurück. Es war sehr erfrischend mal nicht von Protagonist:innen mit blütenweißer Weste zu lesen. Gerade das Hadern einzelner Figuren mit moralischen Fragen war gut inszeniert und hat eine weitere interessante Komponente hinzugefügt.

Leigh Bardugo hat mit das Lied der Krähen ein unglaubliches Abenteuer geschaffen und zumindest für mich neue Maßstäbe in der Fantasy aufgestellt. Es ist ein Buch über ungewöhnliche Freundschaften, innere Dämonen, Stärke und Zusammenhalt in den dunkelsten Zeiten mit tollem Humor und wundervollem Schreibstil.

FAZIT: HERZENSBUCH ♥


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Literaturverweis:
Leigh Bardugo (2017): Das Lied der Krähen. München: Droemer Knaur.

Bildrechte: Inken Pacholke (Wörterwelten)
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