Buchgedanken | Grischa: Goldene Flammen - Leigh Bardugo

April 25, 2020


! Diese Rezension enthält einen kleinen Spoiler zur Handlung ! 

Der Auftakt zur Grischa-Trilogie hat mich vom ersten Augenblick an, als ich das Buch in der Buchhandlung entdeckt hatte, fasziniert: Eine liebevolle und zauberhafte Aufmachung. Eine Welt, die von Russland inspiriert ist. Eine Geschichte, die ein wahres Abenteuer zu versprechen scheint. Seit Ewigkeiten ist Alina schon in Maljen, ihren besten Freund aus Kindheitstagen, verliebt, fand bisher jedoch nicht den Mut ihre Liebe zu gestehen. Unbemerkt lebt sie in seinem Schatten und folgt ihm zur Ersten Armee des Zaren von Ravka. Dort dienen sie im selben Regiment - sie als Kartografin, er als Fährtenleser. Als Alina Maljen bei einem Überfall auf zunächst unerklärliche Weise das Leben rettet, zieht sie die Aufmerksamkeit der Grischa, der mächtigen Magier*innen des Reiches, auf sich. Nicht nur ihr Anführer, der nur  als der Dunkle bekannt ist, sondern auch die Menschen von Ravka sehen in Alina die lang ersehnte Erlöserin, die das Reich von der Schattenflur befreien wird.

BUCHGEDANKEN 

In den ersten Kapiteln konnte mich Leigh Bardugo mit ihrer Idee und ihrem Schreibstil vollkommen in den Bann ziehen. Alina war mir durch den Mix aus schlagfertigem frechem Witz und kühler Intelligenz sehr sympathisch. Der Anfang war stark, spannend und magisch - leider ist das Ganze danach ziemlich schnell wie ein wackeliges Kartenhaus in sich zusammengefallen. Sobald Alina die Haupstadt Os Alta und die Akademie der Grischa erreicht, wo sie ihre Gabe - die Beschwörung des Lichts - meistern soll, ziehen wir zusammen mit ihr stetige Kreise um die immer gleichen Gedanken. Obwohl sich Alina auf den ersten Seiten nach außen hin sehr taff gibt, ist sie eher eine zurückhaltende Protagonistin und eine Einzelgängerin. Von dem sozialen Druck in der Akademie und den magischen Herausforderungen, denen sie sich als Grischa-Novizin allein stellen muss, ist sie heillos überfordert. Sie verstrickt sich in Selbstzweifeln und versinkt zunehmend in Selbstmitleid. Sie nimmt sich die Sticheleien und Anfeindungen der anderen Mädchen sehr zu Herzen und kapituliert vor jeder Aufgabe, die ihr nicht auf Anhieb gelingt. 

Ich verstehe, dass man beim Schreiben des ersten Romans auf etablierte Strukturen zurückgreift und sich an ihnen durch den Schreibprozess hangelt (been there too). Aber bereits 2012 hatte man schon zu oft gelesen, dass sich die Held*innen in der magischen Akademie erst behaupten müssen, sowohl was ihre Fähigkeiten betrifft als auch innerhalb der neuen Gemeinschaft. Das wäre eigentlich kein Kritikpunkt, denn auch ein Stereotyp kann unterhaltsam und gut geschrieben sein. Das war hier allerdings nicht der Fall. 

Zum Einen wären da die Sticheleien der anderen Schüler*innen. Wie es in diesem Buch gehandhabt wird, läuft es auf die Botschaft hinaus, dass junge Grischa (vor allem die Mädchen) nun einmal "so" sind. Selbst Nadia und Marie, die mit Alina befreundet zu sein scheinen, fallen in dieses mean girl Trope, im Gegensatz zu Alina, die natürlich nicht wie all die anderen Mädchen ist. Daran schließt sich direkt der Schönheitsfanatismus der Grischa an: Sie sind schön, schöner, am schönsten - ebenmäßige Haut, glänzendes Haar, schlanke muskulöse Körper, attraktive weibliche Kurven. Natürlich passt Alina auch hier als graues Mäuschen nicht dazu. Sie entspricht nicht diesem Ideal und muss entsprechend aufgehübscht werden, um dazugehören zu können. Beide Aspekte hinterließen einen schalen Beigeschmack. Weibliche Protagonist*innen werden in Jugendbüchern nach wie vor zu oft in Opposition zu den schönsten Frauen gestellt. Viele junge Mädchen haben mit ihrem Selbstbewusstsein zu kämpfen, weil unsere Gesellschaft von Frauen fordert, einem gewissen Schönheitsideal zu entsprechen. Genauso möchte ich nicht mehr lesen, wie sich junge Frauen deswegen gegenseitig niedermachen. Ich wünsche mir hier einfach eine Entwicklung hin zu mehr Bodypositivity! 

Die größte Schwäche, verbunden mit meinem größten Kritikpunkt, ist Alina selbst. Nicht vorrangig ihr Charakter, denn sie ist durchaus eine vielseitige Figur mit Stärken und Schwächen. Was mir während des Lesens letztendlich die Nerven raubte, war Alinas unglaubliche Passivität. Eigentlich hätte es durchaus spannend sein können, mal eine introvertierte Protagonistin auf ihrem Weg zu begleiten. Bevor Alina selbst die Gesellschaft der anderen Grischa-Noviz*innen sucht, versichert sie sich lieber zum x-ten Mal, dass sie nicht dazugehören kann, weil sie nicht so schön ist wie die anderen Grischa und überhaupt schon immer "anders" war. Dabei sehnt sie sich nach dem Gefühl der Zugehörigkeit und nach einem Sinn in ihrem Leben, tut aber nichts, um ihrer selbstauferlegten Einsamkeit zu entkommen. Die Momente, in denen sie dann mal aus eigenem Antrieb handelt, sind immer mit Maljen, ihrer großen Liebe, verknüpft und gerade hier liegt ein weiteres Problem des Buches: Denn Alina misst ihren Wert als Mensch an der Aufmerksamkeit, die sie von Mal erhält und dies ändert sich (zumindest) im Verlauf des ersten Bandes nicht.   

! KLEINER SPOILER VORAUS !

Auch nachdem sie ihre Selbstzweifel anscheinend überwunden und ihre magische Kraft heraufbeschwören konnte, vergeht ihr Desinteresse nicht. Ihre Gedanken kreisen weiterhin unaufhörlich um die Frage, warum Maljen nicht auf ihre Briefe antwortet. Und der Schmerz über die (vermeintliche) Tatsache, er habe sie vermutlich schon vergessen, lässt sie ihre Fortschritte und Fähigkeiten immer wieder hinterfragen. Denn wenn sie als Frau nicht von einem Mann geliebt werden kann, dann kann sie auch nicht die Erlöserin der Menschen von Ravka sein. Alinas Gedankengänge sind eine selbsterfüllende Prophezeiuung - jedoch nur in ihren Augen. Selbst nachdem der Dunkle ihr von einem magischen Artefakt berichtet, das beim Bezwingen der Schattenflur von großer Bedeutung sein könnte, lässt sich Alina das Artefakt lieber liefern als selbst tätig zu werden... Warum hat sie sich nicht das nächste Jagdgewehr oder den nächsten Bogen geschnappt und ist mit den Fährtenlesern auf die Pirsch gegangen? Jede ihrer Handlungen werden von anderen Figuren angestoßen, aber niemals von Alina selbst - es sei denn es geht darum, Maljen vor dem Tod zu retten. 

! SPOILER ENDE !

Neben Alina können auch die männlichen Protagonisten nicht überzeugen. Gerade zu Beginn tritt Maljen als sehr oberflächliche Person auf und erfüllt das Stereotyp des einfachen Soldaten: Er trinkt und spielt mit den Kameraden, lacht über deren sexistische Witze und Anspielungen, prahlt mit seinen vermeintlichen Eroberungen usw. Von der tiefen und verständnisvollen Freundschaft, die ihn und Alina verbinden soll, bemerkt man nichts. Alina verliert Maljens Aufmerksamkeit beinahe sofort, wenn seine Kameraden ihn rufen oder ein hübsches Mädchen an ihm vorbeigeht. Auch der Dunkle bleibt für die zentrale Rolle, die er spielt viel zu blass und charakterlos. Er taucht nur ab und zu am Rande auf, um ein paar nichtssagende Worte mit Alina zu wechseln. Dafür, dass Alina DIE Sonnenkriegerin ist, auf die nicht nur ganz Ravka sondern auch der Dunkle gewartet haben, ist ihre Beziehung zu dürftig ausgearbeitet. Sie hätten viel mehr miteinander agieren müssen, damit die gegenseitige Sympathie und Anziehungskraft glaubwürdig gewesen wäre. Warum hat er Alina nicht direkt als Novizin unter seine Fittiche und mit auf seine Reisen genommen? Das hätte nicht nur mehr Spannung gebracht, sondern auch das von Russland inspirierte Setting mehr in den Vordergrund gerückt. Es klingt immer wieder an, das Ravka ein Land voller atemberaubender Landschaften, Magie und Märchen ist, aber da sich der Schauplatz größtenteils auf die Akademie beschränkt, geht so viel Potenzial verloren. 

Der erste Band der Grischa-Trilogie hat zwar sehr vielversprechend begonnen, verschenkt aber zu viel Potential und war schlussendlich eine herbe Enttäuschung, nicht zuletzt weil ich einige Aspekte des Buches sehr kritisch sehe. Zumindest der Auftakt der Grischa-Reihe stützt sich zu sehr auf altbekannte Tropes und Klischees. Daher liest sich Leigh Bardugos Debüt leider wie der erste Entwurf des Romans. Für Einsteiger*innen eine nette Lektüre für Zwischendurch, wer in der Fantasy schon belesener ist, sollte dann lieber zu Bardugos Krähen-Dilogie greifen, die zwar im gleichen Universum spielt, sich aber an eine ältere Zielgruppe richtet.

FAZIT: SNACK-LEKTÜRE


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Literaturverweis:
Leigh Bardugo (2012): Grischa. Goldene Flammen. Hamburg: Carlsen

Bildrechte: Inken Pacholke (Wörterwelten)
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